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End Polio Now – eine große rotarische Erfolgsgeschichte

Mediziner ziehen Bilanz in einer Informations-Veranstaltung unseres Distrikts.

„Was hat man eigentlich genau, wenn man Polio hat?“ Diese Frage eines jungen Zuhörers ist der beste Beweis für den großartigen Erfolg des zentralen Rotary-Projekts „End Polio Now“. Sie erinnert daran, in welch ferne Vergangenheit diese Krankheit inzwischen gerückt ist, die noch in den fünfziger bis siebziger Jahren auch bei uns eine Geißel der Menschen war. In einer gut besuchten Online-Informationsveranstaltung unseres Distrikts, zu der Governor Renate Dendorfer-Ditges eingeladen hatte, zogen vier in dem Projekt engagierte Mediziner Bilanz. Sie beschrieben den fast kompletten Sieg über Polio, aber auch die verbleibenden Probleme. Ihr Fazit: Der weltweite rotarische Kampf gegen Polio muss fortgeführt werden.
 
Dr. med. Urs Herzog zog als End-Polio-Now Koordinator für Deutschland, die Schweiz und Liechtenstein eine ganz persönliche Bilanz. Er war in jungen Jahren selbst von der Krankheit betroffen, die man damals allgemein Kinderlähmung nannte,. Sein Glück war, dass die Krankheit bei ihm nicht den schlimmsten Verlauf nahm. Die frühe Erfahrung förderte seinen Wunsch, Medizin zu studieren und sie wurde auch Motor seines rotarischen Engagements im Kampf gegen Polio.
 
Seine eigene mehrmonatige Isolation als Achtjähriger lehrte ihn, was die Krankheit neben den unterschiedlich schweren Lähmungen auch bedeutet: Ausschluss aus vielen Aktivitäten gesunder Kinder; dramatische Einschränkung von Lebens-Chancen. Sein Engagement führte ihn unter anderem wiederholt nach Afrika, in verschiedene, oft extrem isolierte Regionen. Dort erlebte er nicht nur die schlimmen Folgen der Kinderlähmung sondern er lernte den selbstlosen Einsatz der Freiwilligen bewundern, die unter schwersten, zuweilen lebensgefährlichen Bedingungen ihre Impfaktionen durchführten.
 
So schwierig die Arbeit vor Ort ist, so können unsere Clubs viel mit einfachen Mitteln erreichen. Freund Herzog berichtete vom „Sonnenblumentag“, an dem Schweizer Clubs Sonnenblumenkerne verkaufen und so Spenden sammeln. Angesichts der aktuellen Covid-Krise regte er an, jeder Empfänger einer Gratis-Impfung gegen Corona möge 25 Euro spenden. Dieser bescheidene 25-Euro-Betrag reiche dank der ergänzenden Zusagen der Bill-&-Melinda-Gates-Stiftung, der WHO und anderer Organisationen aus, um 120 Kinder impfen zu können. Zwar hat die WHO wegen der Gefahren des Covid-Virus eine weltweite Impf-Pause gegen Polio verhängt. Doch die Infrastruktur, die die Polio-Helfer in den vergangenen Jahren vielerorts aufgebaut haben, erweist sich nun als ein Segen im Kampf gegen Corona.
 
Die Impf-Aktionen gegen Polio müssen aber so bald wie möglich wieder aufgenommen werden. Urs Herzog: „Unser Einsatz im Projekt End Polio Now muss sogar noch verstärkt werden.“
 
Dr.med Ivo Henrichs, Polio-Plus-Beauftragter unseres Distrikts, gab einen Überblick über die Ausbreitung von Polio und Corona-Viren von einer regional begrenzten Epidemie zur globalen Pandemie bis hin zur Syndemie, wenn sich zwei und mehr Krankheiten ausbreiten und gegenseitig stärken.
 
Er erinnerte daran, dass Polio eine uralte Geißel der Menschheit ist, von der schon die alten Ägypter befallen waren. Ihre Ausbreitung in Amerika führte dort zur verstärkten Forschung. Der prominenteste, dauerhaft an den Rollstuhl gefesselte Erkrankte war Weltkriegspräsident Franklin D. Roosevelt, der mit 39 Jahren von der Krankheit befallen wurde. Eine heilende Therapie gegen Polio gab und gibt es nicht, der erste injizierbare Impfstoff als einzig möglicher Schutz wurde erst 1955 entwickelt, nachdem Roosevelt eine Stiftung gegründet hatte, die eine große Forschungsinitiative startete.
 
Doch erst Rotary International wagte 1979 den kühnen Schritt, mit dem neu entwickelten Schluck-Impfstoff eine internationale Kampagne gegen Polio auszurufen. Alle Kinder der Welt sollten vor dieser Krankheit geschützt werden. Der rotarischen Eigeninitiative schlossen sich WHO, UNICEF und andere an. Die Erfolge dieses gemeinsamen Kampfes waren erstaunlich. Noch 1988 war Polio in 125 Ländern endemisch, mit 350 000 Gelähmten im Jahr. 2020 war Nigeria als eines der drei letzten Länder frei von sogenannter Wild-Polio, also von den ursprünglichen Stämmen des Virus. Nur Pakistan und Afghanistan sind weiterhin endemisch. Der Erfolg war möglich dank der 120 000 Helfer vor Ort, die an bestimmten Impftagen bisher sage und schreibe 2,6 Milliarden Kinder geimpft haben. So wurden 1,5 Millionen Menschen vor dem Tod bewahrt, 19 Millionen vor Lähmungen.
 
Das zwischenzeitliche Impf-Verbot der WHO wegen Corona hat allerdings bewirkt, dass für drei Monate nationale Polio-Impftage ausfielen und 80 Millionen Kinder nicht geimpft werden konnten. Dabei darf es nicht bleiben. Sonst besteht die Gefahr, dass in zehn Jahren wieder jährlich 200 000 Kinder an Polio erkranken.
 
Prof. Dr. med. Hans-Iko Huppertz, Polio-Plus-Beauftragter des Distrikts 1850, informierte im Detail über die Impfverfahren und über die Gründe, warum Polio noch nicht zu hundert Prozent ausgeschaltet werden konnte.
 
Die rotarische Impf-Kampagne erfreut sich seit langem weltweiter Zustimmung. Es gibt allerdings einige fundamentalistische Gegner, die oft eine große Gefahr für die freiwilligen Helfer darstellen. Es hat Morde gegeben.
 
Der eigentliche Grund, warum noch kein hundertprozentiger Sieg im Kampf gegen Polio vermeldet werden kann, liegt am Virus selbst und – weniger – am Impfverfahren. Üblich in Afrika und Asien ist die Schluckimpfung, weil sie mit dem geringsten Aufwand zu schaffen ist und weil sie am ehesten akzeptiert wird. Der Impfstoff wird auf einem Stück Zucker verabreicht. Motto: „Schluckimpfung ist süß, Kinderlähmung ist grausam“.
 
Die in Europa und Amerika übliche Injektions-Impfung, die Kindern als Sechsfach-Impfung gegen mehrere Erreger verabreicht wird, ist komplizierter in entlegenen Regionen anzubringen. Aber sie schützt nachhaltiger, während die Schluckimpfung in sehr seltenen Fällen bei Erwachsenen zu neuen Erkrankungen führen kann. Gefährlich aber sind vor allem die Mutanten des zur Schluckimpfung eingesetzten abgeschwächten Impf-Virus. Die Folge: Während in Afrika die ursprüngliche Polio komplett und in Pakistan und Afghanistan nahezu ausgerottet ist, breiten sich neu entstandene Vakzine-Mutationen wieder aus. Sie vor allem müssen nun bekämpft werden. Ein neuer Impfstoff dagegen wurde laut WHO entwickelt, konnte aber wegen der Covid-Pandemie noch nicht ausreichend getestet werden. Wenn es so weit ist, kann er sich als segensreich erweisen.
 
Die neu entwickelten Impfstoffe gegen Covid-19 wirken sehr gut und bieten somit die Chance, in absehbarer Zeit auch den Kampf gegen Polio wieder aufzunehmen. Nebenwirkungen sind bisher kaum festzustellen.
 
Dr. med. Ekkehard Pandel (GPEI EU) erinnerte an die Anfänge der rotarischen Polio-Aktion in den Philippinen, deren Erfolge dazu führten, dass Rotary 1985 ein weltumspannendes Impfprogramm startete. Durch den Einstieg von WHO und UNICEF entstand die Global Polio Eradication Initiative (GPEI). 2007 erklärte die Bill-&-Melinda-Gates-Stiftung, die rotarischen Spenden um das doppelte aufzustocken. Hinzu kam 2000 die Schweizer Globale Impf-Allianz Gavi. Auch einzelne Regierungen helfen inzwischen mit. Es gibt neue finanzielle Zusagen der Bundesregierung und der EU. Freund Pandel wies eindringlich darauf hin, wie wichtig dabei persönliche Kontakte sind, wie sie zum Beispiel Anne von Fallois als Polio Advocacy Adviser dank ihres Netzwerks zu Parlament und Ministerien in Berlin und Brüssel in den Dienst von Rotary stellt.
 
Die Anfänge der rotarischen Polio-Plus-Aktion waren alles andere als leicht. Die mutige Kampfansage an die Kinderlähmung, die Rotary International anlässlich seines 75. Jubiläums erklärte, wurde erst mit Verzögerung ernst genommen. Bei der WHO war man skeptisch gegenüber den als Amateure empfundenen Rotariern. Es mussten ja zum Beispiel auch erst praktikable Techniken entwickelt werden, wie eine lückenlose Kühl-Kette, die den Impfstoff über längere Zeit in der richtigen Temperatur hielt. Erst als Rotary überraschend erfolgreich freiwillige Helfer in die Welt hinaus geschickt hatte, übernahm die WHO den rotarischen Traum. So entstand die größte internationale Hilfs-Initiative aller Zeiten.
 
Das Versprechen an die Kinder der Welt, Polio ganz auszurotten, ist noch nicht hundertprozentig erfüllt. Aber Rotary International wird nicht aufhören, bis dieses Versprechen erfüllt ist.

Franklin D. Roosevelt, US-Präsident
(1882-1945)
Mit 39 Jahren (1921) erkrankte er schwer an
Poliomyelitis, immer auf einen Rollstuhls
angewiesen.